E-mail an den „Tagesspiegel“

AnarchieIch habe heute eine E-mail an den Tagesspiegel, wegen seiner äußerst einseitigen Berichterstattung in Bezug auf die Antirep-Demo geschrieben, bitte schreibt auch ihr der Zeitung, um euren Unmut auszudrücken. Nur wenn wir entschlossen handeln (d.h. in diesem Fall schreiben) lässt sich an der fast schon propagandistischen Berichterstattung etwas ändern!


Hier der Brief:

Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Hasselmann.
Ich lese Ihre Zeitung im Grunde genommen gerne und schon lange, obgleich ich erst 18 Jahre alt bin.

Oft hatte ich den Eindruck, gerade was die Berichterstattung von Demonstrationen/Blockaden angeht, dass Sie gute Journalisten mit einem möglichst objektiven Blick einsetzen, die bei linken Demonstrationen auch linke Ansätze zu verstehen versuchen.

Als ich am Sonntag allerdings ihren Artikel „Nicht in Stimmung“ (Was ist denn zum Beispiel mit dieser Überschrift gemeint? Wäre Stimmung Ihrer Meinung nach, wenn es Krawall gegeben hätte?) über die Antirepressionsdemo gelesen habe, musste ich sehr staunen. Lange habe ich nicht mehr so einen einseitigen Artikel über ein politisches Streitthema gelesen, jedenfalls nicht in einer Zeitung, die ich immer für gut gehalten habe.

Von Anfang bis Ende wird sich in dem Artikel über die Szene lustig gemacht, es beginnt mit Sätzen wie „Wortgewaltig war sie die linksextreme Szene“, und geht weiter bei verbalen Provokationen wie „‚Schwach‘ lästerte ein leitender Polizeibeamter über den Auftritt der Autonomen.“

1. Ein Polizist sollte so etwas nicht sagen. Was heißt ‚schwach‘ in diesem Kontext? Hätte er gerne mehr Aggressivität seitens der Demonstrant/innen gesehen, damit er einen besseren Grund gehabt hätte draufzuhauen? Für mich klingt das so, als sehne sich der Polizist eine Konfrontation herbei, aber warum? Um seine Überlegenheit (Ausrüstung, Überzahl, bessere juristische Absicherung…) zum Ausdruck zu bringen? Ist er womöglich gar nicht so objektiv wie er, vor allem als Demo-Polizist sein sollte, ja sogar sein muss??

2. Ein Journalist sollte so etwas nicht drucken. Dieser Satz stellt eine klare Provokation dar, die wohl kaum gewünscht sein kann. Es muss objektiv und ruhig geschrieben werden, jedenfalls in einer großen berliner Tageszeitung. Das weiß sogar ich als 18-jähriger.

3. Was heißt der „Auftritt der Autonomen“? Es klingt so, als würde die ganze Demonstration nur aus sog. „Autonomen“ bestehen. Was heißt „optisch überwiegend dem schwarzen Block angehörig“?  Ich bin kein Autonomer und habe mich dennoch komplett schwarz angezogen, und dafür gibt es klare Beweggründe. Womit wir bei Repression sowie Überwachungs- und Kontrollwahn wären. Die ganze Zeit war der Demonstrationszug von Polizisten eingerahmt, permanent wurde gefilmt. Ich ziehe mich schwarz an, damit wir schwer auseinanderzuhalten sind. Damit wir schwerer zu kriminalisieren sind.

 

Gehöre ich dann automatisch zum schwarzen Block?
Oft kriegt man das Argument an den Kopf geworfen „Könnt ihr nicht zu eurer Meinung stehen? Müsst ihr euch erst verkleiden/vermummen?“ Natürlich stehe ich zu meiner Meinung – beispielsweise durch diese E-mail – aber nicht zu dem Preis, permanent von Kameras erfasst zu werden, damit es einfacher ist, mich zu verfolgen. Es wäre für die Polizei eine Kleinigkeit herauszufinden wer ich bin. Was hat das mit Freiheit und Demokratie zu tun?

Wie steht es überhaupt mit den Interessen? Wessen Freiheit will man verteidigen und zu welchem Preis? Nie habe ich bei einer Nazi-Demo die Polizei Nazis filmen sehen, immer wird die Gegenseite gefilmt.

Man muss sich fragen, ob ein Vermummungsverbot überhaupt tragbar ist. Wenn wir in einem ach-so-freien Land leben, muss es doch möglich sein, sich einen Schal vor das Gesicht zu binden, wenn man nicht erkannt werden möchte.

Sie schrieben ziemlich zu Beginn die Polizei habe etwa 25 Personen wegen Vermummung aus dem Demo-Zug heraus festgenommen. Sie schreiben, als wäre das alles sehr harmlos abgelaufen. Tatsächlich aber habe ich selten so aggressive Polizist/innen erlebt. Um einen Menschen aus der Demonstration zu holen, ist es nicht wirklich nötig, mit 20 schwer ausgerüsteten Polizisten in die Demonstration zu knüppeln oder? Wieso wird ein 73-jähriger Mann geschlagen? Weil er im Weg stand? Wieso werde ich geschubst, nur weil ich am falschen Ort stehe? Was hat es mit Versammlungsfreiheit und Demonstrationsrecht zu tun, wenn eine Demonstration nach nicht einmal der Hälfte des Weges gestoppt wird, ‚zufällig‘ an einer Stelle, an der ein Ausbrechen aus dem Kessel (Im Grunde genommen war die ganze Demonstration ein sich bewegender Kessel)  unmöglich war?
Wieso gab es (Schwer-)Verletze?

Was sollen Sätze wie „Am Samstagabend gelang es der gewaltbereiten Szene in Moabit nicht, die Situation zu nutzen“?
Ganz ehrlich, wieviele der knapp 1.000 Demonstrationsteilnehmer/innen halten Sie für gewaltbereit? Und zu was sollte die Situation denn genutzt werden? Das müssen Sie mir erklären. Ich bin, wie die allermeisten der Demonstrant/innen zu der Demo gegangen, um gegen staatliche Repression zu demonstrieren, die am Samstagabend wieder sehr deutlich zu sehen war. Wenn die Demonstrant/innen alle so schrecklich gewaltbereit waren, warum kam es dann zu keiner Gewalt seitens der Demonstrant/innen?

Dann geht es weiter mit „HH2112 heißt jetzt B2203“. Es mag sein, dass es solche Ansätze gibt, aber sie sind definitiv nicht in der Überzahl. Ich habe keinen einzigen Aufruf zur Gewalt gesehen oder gelesen und sie können mir glauben, dass ich mich gut informiert habe. Kurz davor schreiben Sie „In Hamburg war es den Autonomen […] am 21. Dezember in einer ähnlichen Situation gelungen, schwerste Ausschreitungen anzuzetteln.“  Diesen Satz halte ich beinahe für Taktlos. Wer hat denn in Hamburg Ausschreitungen angezettelt? Waren sie da und haben es sich angeschaut?

Bereits nach wenigen Metern wurde die „Rote-Flora-Demo“ mit Wasserwerfern (!) gestoppt, das erklären Sie mal 7.000 wütenden Menschen!
Ein Polizei-Insider berichtet sogar, die Ausschreitungen seine gewollt (Lesen sie diese beiden Artikel: http://www.taz.de/!130045/   und  http://www.neues-deutschland.de/artikel/919278.rote-flora-insider-belast… )

Dann stellt sich weiter die Frage, warum die Hamburger Regierung einen Innenausschuss zum Thema ablehnt, das ist merkwürdig wenn es doch eigentlich nichts zu verbergen gibt…

Sie sehen, ich habe schon ziemlich viel geschrieben und der Text besteht größten Teils aus (rhetorischen) Fragen. Ihr Artikel wirft nämlich viele Fragen auf. Es ist kein Wunder, dass die breite Masse der Gesellschaft, die Nazi-Morde, Abschiebungen, das Sterben von 20.000 Flüchtlingen (seit 1989!!), Waffenexporte und,und,und hinnimmt, so eine schlechte Meinung von der relativ kleinen Aktivisten-Szene hat, wenn sämtliche großen Medien so eintönig Meinungsmache betreiben, dass man sie fast schon für Propaganda-Apparate des Staates halten könnte.

Wenn man Ihren Artikel liest, muss man den Eindruck bekommen alle Linken seien gewaltbereite Idioten, deren einziges Ziel darin bestehe, Polizisten aufs Maul zu hauen und Krawalle anzuzetteln.

Ich stelle klar: Das ist falsch!!

Es ist schade, dass sich so eine Zeitung zu so einseitigem, eigentlich unprofessionellem Journalismus hat hinreißen lassen, ich wünsche ihnen, dass sie schnell den Weg zurück zu ehrlichem und kritischem Journalismus finden, so wie ich es von Ihnen eigentlich gewohnt war.
Mit freundlichen Grüßen.

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