Was bleibt ist die Solidarität

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Der folgende Text ist eine Diskussion zu unserem Verständnis von Solidarität. Anlass dazu gaben uns aktuelle Repressionsfälle (Hausdurchsuchungen, Repression im Rahmen des GÜZ, etc.) und die gefühlte Häufigkeit von DNA-Abnahmen. Bei all diesen Ereignissen geht es uns darum, zu thematisieren wie Solidarität aussehen kann und wie sie zur Zeit ausgeübt wird. Bewusst wählen wir eine etwas provokantere Auseinandersetzung, stehen aber nicht über der angebrachten Kritik, sondern sehen uns als Teil davon und hoffen auf kritisch-solidarische Ergänzungen und Antworten.

Solidarität liegt in der Handlung. Handlungen, deren Wurzeln im eigenen Projekt liegen, das man kohärent und stolz ausführt, speziell in Zeiten wo es sogar gefährlich sein kann, seine Ideen öffentlich auszudrücken. Ein Projekt, das Solidarität, im Spiel des Lebens, voller Freude ausdrückt, uns befreit und die Entfremdung, Ausbeutung sowie mentale Armut, zunichte macht. Dies öffnet unendlich viel Raum, worin wir uns durch Experimente und kontinuierliche Aktivität darauf ausrichten können, uns im Aufstand selbst zu verwirklichen. […] Revolutionäre Solidarität ist der Schlüßel zur Zerstörung aller Mauern. Es ist der gleichzeitige Ausdruck von Liebe und Wut, sowie des eigenen Aufstands, im Kampf gegen das Kapital und den Staat.“ (Daniela Carmignani)

Repression

Repression ist die logische Folge, wenn Menschen anfangen sich gegen ein System zu wehren, welches auf Macht basiert. Repression ist der Grundstein dieser Gesellschaft, das Druckmittel der Machthabenden und das, was uns tagtäglich umgibt. Der alltägliche Zwang innerhalb dieser Gesellschaft ist genauso Repression wie die Gesetze und die staatlichen Verordnungen, um alles beim alten zu belassen. All dessen müssen wir unsere Solidarität entgegensetzen.

Dieser Text handelt von der staatlichen Repression und ihrer Behörden, die zuschlagen, wenn Menschen sich aktiv gegen das System wehren. Oft beobachten wir leider einen sehr staatstreuen Umgang mit dieser Repression, welcher die Repression in ihren Zielen von unserer Seite noch verstärkt, anstatt ihr etwas entgegenzusetzen. Betroffenen werden Vorwürfe gemacht, sie werden ausgeschlossen und isoliert, anstatt sie kritisch-solidarisch in ihrem Vorhaben zu bestärken, diesem Staat ans Bein zu pissen.

Oft scheint diese Vorwurfsebene und Isolierung der Betroffenen aus der Angst zu entstehen, selbst mit Repression überzogen zu werden. Repression macht Angst – keine Frage. Doch bestärken wir die Repression in ihren Folgen, wenn wir uns entsolidarisieren. Diese Angst gilt es nicht zu unterdrücken, sondern einen gemeinsamen Umgang zu finden. Wo vor genau haben wir Angst? Vor der Isolation, der Vereinzelung, den konkurrenz- und hierarchiebelasteten Beziehungen? Aber genau dagegen kämpfen wir. Im Fall von Repression spiegeln sich die Verhältnisse und unsere eigene Verstrickung in die kapitalistischen Zustände wider und werden noch deutlicher. Wenn wir also diese Strukturen reproduzieren, im Alltag aber auch im besonderen Fall der Repression, dann unterstützen wir die herrschenden Verhältnisse und machen die alltägliche Kontrolle überhaupt möglich.

Jenseits von Konkurrenz-, Hierarchie- und Autoritätsstrukturen, welche uns seit den frühesten Institutionen anerzogen wurden, müssen wir neue Wege erkunden, wie wir miteinander umgehen möchten. Es sollte möglich sein, ein „gemeinschaftliches“ Projekt zu gestalten und es ist notwendig den Umgang untereinander solidarisch anzugehen. Denn wenn wir uns trennen und spalten lassen durch die Repression, hat sie erreicht, was sie erreichen sollte. Wenn wir zusammenhalten – nicht weil wir alles toll finden was die anderen machen, sondern weil wir uns verstehen als Gefährt_innen, die sich auf unterschiedlichen Wegen gegen das Bestehende gemacht haben – kann uns die Repression nicht mehr so viel anhaben. Denn ihr vordergründiges Ziel ist die Vereinzelung und Isolation als Grundstein der Kontrolle.

Wichtig für unsere Kämpfe ist der Angriff auf Institutionen der Macht, aber genauso der Angriff auf die Art und Weise, wie Beziehungen in unserer Gesellschaft konstruiert und von uns selbst reproduziert werden. Das heißt, die Aktion, die die Repression nach sich zieht, ist genauso wichtig, wie der Umgang miteinander, wenn die Repression einschlägt. Beides ist ein Angriff gegen den Staat!

Wir beobachten manchmal eine merkwürdige Umkehrung unseres Verhältnisses zur Macht. Wir hören auf zu rebellieren, weil die Verhältnisse zum Kotzen sind? Ohne groß für Verwunderung zu sorgen, gilt so manchmal als Argument für den Abschied von der Rebellion, dass wir eben arbeiten müssen und daher keine Zeit mehr haben, oder nicht selten schon einige Verfahren am Laufen haben. Erschöpfung und Ängste sind vollkommen nachvollziehbar, aber sollten doch im solidarischen Umgang mit den Gefährt_innen münden. Wir machen uns zu Opfern der Verhältnisse, wenn wir die Perspektive der Autonomie dem Sicherheitsdiskurs unterordnen. Vergessen werden zu oft die Möglichkeiten unserer Existenzangst, dem Normalzustand im Kapitalismus, gemeinsam etwas entgegenzusetzen – uns auf Freund_innen zu verlassen, statt auf Geld. Oder einen solidarischen Umgang zu leben, anstatt die vermeintliche Unterstützung eines repressiven Staates annehmen zu müssen. Wir stehen uns oft selbst im Wege, unseren Träumen von einem selbstbestimmten solidarischen Leben konsequenter näher zu kommen, weil wir zu sehr von kapitalistischen Denkweisen eingefärbt sind und somit das System, gegen das wir kämpfen, bedienen. Uns selbst und unsere Räume nicht als behütete Schutzräume zu denken, ist kein leichter Schritt, denn wir stehen nicht der kalt berechnenden Außenwelt gegenüber, sondern sind auch Kollaborateur_innen des Kapitalismus und der eigenen Unterwerfung. Nehmen wir uns unserer Gefühle und Ängste an, fällt es viel leichter, sie in die Idee vom Kampf um Befreiung aufzunehmen, was verheißt, eine alte Trennung zu überwinden und die Kämpfe mit Herz und Verstand zu führen.

Das Konstrukt: perfekte Aktion, perfekte Gefährt_innen

Der Staat entscheidet schon zu viele Dinge unseres alltäglichen Lebens. Er sollte nicht auch noch darüber bestimmen, wie und wann wir solidarisch sind. Er sollte nicht vorgeben, wer falsch und wer richtig gehandelt hat. Wir dürfen nicht auf die Schuld/Unschuld-Logik des Staates hereinfallen und sollten diese nicht übernehmen. Wir müssen jenseits der Gesetze und Ermittlungen denken. Was bringt uns das Wissen darüber wer genau was getan oder nicht getan hat? Wir sollten uns nicht von den Konstrukten des Staates mitreißen lassen. Denn es folgt einer Ideologie, die wir ablehnen – nämlich einer, in der der Staat und seine Repressionsmethoden nicht in Frage gestellt werden und jeglicher Angriff gegen die bestehenden Verhältnisse vorverurteilt ist.

Ja, es werden Fehler gemacht. Manchmal solche die Wut auslösen, manchmal auch solche die unsere Gefühle verletzen. Fehler, die uns auf andere Wege bringen, weil sie alte Wege versperren. Fehlerlos gibt es nicht! Denn wir sind keine dressierten Soldaten, keine Maschinen!

Was wir niemals vergessen dürfen ist, dass das Problem die herrschenden Verhältnisse sind. Das es dieses Problem der Repression nicht gäbe, wenn es ihre Gesetze und ihre Macht nicht gäbe! Solidarische Kritik ist angebracht und wichtig – aber nicht vernichtende Kritik, welche uns nur noch weiter voneinander trennt und die Schuld im Falschen sucht.

Wie Kritik formuliert wird und wann sie angebracht ist, braucht ein gewisses Feingefühl und vor allem eine selbstkritische und grundsätzlich solidarische Ebene. Das bedeutet erst einmal den Versuch, etwas gegen die Scheiße zu machen, zu respektieren, auch wenn Wege und Methoden von den eigenen abweichen. Dennoch stellt sich die Frage: Mit wem bin ich solidarisch? Natürlich nicht mit allen, aber nur mit meiner direkten Gruppe und persönlichen Kontakten oder auch mit Gefährt_innen die für die Freiheit nach meiner Definition kämpfen? Solidarität kann nicht nur an das persönliche Umfeld geknüpft sein, denn Solidarität ist mehr als Unterstützung und bezieht sich auf die Weiterführung der Kämpfe gegen die Unterdrückung. Wenn wir uns auf diesen Gedanken einlassen, solidarisieren wir uns mit Gefährt_innen, Genoss_innen und den Aktionen die sich gegen Unterdrückung wenden. Mit dieser Art von praktizierter Solidarität bestärken wir uns gegenseitig in den Angriffen gegen das Bestehende. Deswegen sollten wir einen bewussten Umgang mit unseren eigenen Motivationen und Perspektiven entwickeln.

Perspektive

Eine wichtige Auseinandersetzung, die immer wieder stattfinden muss, ist, weshalb, wie und mit welchen Konsequenzen wir uns entschieden haben, gegen das Bestehende anzugehen. Die Auseinandersetzung über grundsätzliches: Warum sind wir gegen diesen Staat und was bedeutet das für uns? Ein bewusster Umgang damit, in welchen Kampf wir uns begeben, was wir damit wollen und welche Wege wir dafür wählen.Es scheint zwar oft langweilig, sich immer wieder dieselben Fragen zu stellen, das Gefühl zu haben nicht weiter zu kommen und sich immer wieder mit Grundsatzfragen herum zu plagen. Doch so lange sich an der Scheiße nichts ändert, müssen wir uns immer wieder die grundsätzlichen Fragen stellen; von was gehen wir aus, wo wollen wir hin mit dem was wir tun. Die Alternative ist im Scheiße-Strudel einfach mitgerissen zu werden und sich in einem ewigen ‚beschäftigt-sein‘ ohne Perspektive zu verlieren.

Wir sollten nicht dem Trugschluss erliegen, dass wir die Repression verhindern könnten. In den Momenten, in denen wir uns dazu entscheiden uns gegen das Bestehende zu wehren, sei es auf eine Demo zu gehen, Texte zu schreiben, militante Aktionen zu machen oder sich einfach nicht an ihre Regeln zu halten, haben wir immer mit Repression zu rechnen. Wenn du für die Zerstörung dieses Systems kämpfst, wenden sich seine Verteidiger gegen dich, wie könnte es anders sein? Deshalb sollten wir uns gerade in Momenten der Repression in unseren Ideen und Kämpfen bestärken und nicht lähmen, da sie nur verdeutlicht, in was für einer Welt wir leben.

Klares Programm der Repressionsbehörden ist immer, widerständige Subjekte zu isolieren, um sie einerseits zu brechen und andererseits nicht noch mehr widerständiges Potenzial wachsen zu lassen. Auch diejenigen, die sich in Sicherheit wägen, können betroffen sein. Das ist ein Ziel der Repression: Zwietracht und Entsolidarisierung zu bewirken, und genau deswegen ist dies zu verhindern. Deshalb brauchen wir auch die andere Welt, die wir in unseren Träumen sehen, heute und hier schon, und diese können wir nur in solidarischen und freundschaftlichen Beziehungen finden! Wenn wir uns auf die Angst und Unsicherheit, aber dafür auch auf all die Freuden und die Leidenschaft die uns verbindet einlassen, können wir Momente der Freiheit erleben, ohne Ohnmacht und totale Kontrolle. Das, was unsere Solidarität beinhalten muss, das einzige was wir gegen die Repression machen können, ist diesen Staat und die Unterdrückung in der wir leben zu zerstören. Wenn wir uns damit auseinandersetzen, dass wir nicht viel zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben, müssen wir uns nicht mehr so einschüchtern lassen, sondern können endlich wieder mit erhobenem Haupt gemeinsam dem Staat und seinen Getreuen entgegentreten, im Angriff auf das Alte und in der Erschaffung vom Neuem.

Solidarität also

Solidarität begleitet uns im Alltag, ist aber insbesondere Ausdruck unseres Kampfes, ist immer Teil von allem. Der Kampf gegen die Isolation, für Solidarität, ist die Hauptaufgabe jeder revolutionären Praxis, denn auf Solidarität beruhen die Beziehungen, die wir zu Menschen haben möchten. Das heißt, Solidarität ist das Grundprinzip dessen, wofür wir kämpfen. Solidarität ist der Kampf, den wir führen und das Ziel welches wir vor Augen haben.

PostScript: Im Laufe unserer Diskussionen zum Umgang mit Repression, haben sich uns noch einige Fragen ohne klare Antworten gestellt. Wir würden gerne noch über mehr Dinge schreiben, diskutieren und neues/altes ausprobieren zum Leben: warum nicht Banken ausrauben? Warum sich nicht der Repression verweigern, indem wir untertauchen und das untertauchen organisieren? Warum dealen so viele, was ist ein deal mit dem staat, fängt er an wenn wir die Ordnungswidrigkeit bezahlen oder wenn wir einen anwalt einstellen? Warum bekommen wir ein schlechtes Gefühl, wenn wir fürs Pinkfahren oder Beleidigungen von Bullen im besoffenen Zustand die Solidaritätskassen anfordern? Warum müssen sich immer mehr um ihre eigenen Repressionskosten kümmern, warum machen wir so viele Partys um den Staat zu bezahlen und bezahlen einfach nicht?

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