Von der Turmstrasse bis zum Moritzplatz – Gescheiterter Aktionstag gegen Repression in Berlin

Es gibt nur eine nützliche Tat: Die den Menschen und die Welt verbessert. Ich werde nie die Menschen verbessern. Aber man muss so tun, als ob… Deshalb habe ich diese absurde und aussichtslose Anstrengung gewählt. Eben deshalb stehe ich auf der Seite des Kampfes. Die Zeit eignet sich dazu, ich sagte es schon. (Albert Camus) 

17:00 Uhr Demo in Moabit

Zum angekündigten Start der Kundgebung um 16:00 Uhr war der Lautsprecherwagen nicht in Sicht, an der Thusnelda-Allee, dem angekündigten Kundgebungsplatz, niemand zu sehen. Vereinzelte Kleingruppen im Umfeld, beäugt von uniformierten Bullen und den PMS Aufklärern. Erst mit über einer halben h Verspätung kommt der Lauti, einige hundert Menschen sammeln sich. Die üblichen Redebeiträge, die Stimmung ist wie das Wetter: Grau in Grau. Die Bullen umkreisen das Terrain, filmen fleissig ab. Als eine grössere Gruppe das Demokonzept erst nimmt (wir nehmen keine Vorkontrollen hin) und mit eiligen Schritt durch den Park zur Kundgebung stösst, schafft es zwar ein Grossteil an den eingeschläferten Bullen vorbei, einige werden jedoch dann doch noch gestoppt. Hier die ersten Festnahmen, praktisch kein Widerstand, obwohl dies direkt neben der Kundgebung stattfindet, die Weichen für den Tag sind gestellt. Die Demo startet auch nicht wie angekündigt pünktlich, sondern es folgt ein Redebeitrag auf den nächsten, die aufgrund der Lage des Platzes außer uns niemand sonst überhaupt mit bekommt. Mensch erzählt sich selber das immer gleiche, nach der Sinnhaftigkeit wird einscheinend garnicht mehr gefragt.

Als es dann mit einer halben Stunde Verspätung losgeht, gibt es vorne sehr kleine Blöcke der Antifa und von Ums Ganze, auch Ketten und vereinzelte Vermummung, aber alles überschaubar und es ist eher ein Nachmittagsspaziergang. Die Bullen spulen ihr Programm ab: Jede Querstrasse mit Gittern oder quergestellten Wannen blockiert, die herbeigekarrten Wawes dürfen begutachtet werden. Gnädigerweise darf die Demo doch Alt Moabit runterziehen, allerdings nicht durch die Kirchstrasse, der Neubau des Amtsgericht hat eine mehrere hundert Meter lange Glasfront, die Bullen gehen wie immer auf Nummer sicher. An jeder Ecke Bulleneinheiten, nach und nach zieht ein Spalier auf, bis auf die üblichen Parolen ohne Gegenwehr. Die Bullen warten, bis die Demo eine für sie günstige Stelle erreicht hat und greifen dann an. Vor dem Gericht in der Turmstrasse ist eine Seite mit Gittern abgesperrt, die Demospitze wird gestoppt, es gibt kein Wegkommen, um die 1200 Leute sind eingekesselt. Gemächlich gehen die Bullen immer wieder in die Demo, ziehen etliche Leute wegen Vermummung raus und gleich weitere wegen Widerstand und versuchter Gefangenenbefreiung dazu. Jede einzelne Festnahme  wird sofort mit den Vorwürfen protokolliert, es ist, als ob mensch einer perfekten Übungseinheit in der Bullenkaserne zusieht. Der PMS Bullentrupp steht daneben, ist aufgeräumt und hat sichtlich Spass.

Die Demo wird vom Lautsprecherwagen für beendet erklärt, alle dürfen dann in Kleingruppen aus dem Kessel, die Bullen sehen es locker, dass sich auf der Strasse dann nochmal einige hundert Menschen finden, die gemeinsam in Richtung U Bahnhof ziehen, an der Stromstrasse stossen sie dann rein, eine grössere Gruppe wird dann durch den Kiez in Richtung Birkenstrasse gehetzt.

Die Aussenwirkung der Demo geht gegen Null. Rund um Knast und Gericht gibt es nicht allzuviele Wohnhäuser, die Strassen von Demo und Bullen abgesehen menschenleer. Flugblätter werden nicht verteilt, mensch unterhält sich selber mit den üblichen Parolen. Es werden Karten von Kreuzberg verteilt, auf dem u.a. der Springer Verlag, der Mariannenplatz und der Moritzplatz markiert sind, es unterbleiben aber Durchsagen zum Ort der 22:00 Uhr Demo, dafür wird der Moritzplatz aber zeitgleich als Ort über twitter verbreitet. Was das soll, wenn vor der Demo nochmals darauf hingewiesen wurde, die Handys zuhause zu lassen, mag verstehen, wer will..

22:00 Moritzplatz

Nun also doch wieder 36, auch wenn der Moritzplatz postalisch in 61 liegt. Seit ewigen Zeiten Diskussionen, mal woanders was zu starten, wo es lohnende Ziele gibt, die Bullen nicht ihr Raumstellungskonzept perfektioniert haben.  Scheiss drauf. Und wenn schon Scheisse – dann richtig. Der Moritzplatz – ein Platz im Nirgendwo- einige Gewerbegebäude, einige Neubauen. Keine Kneipen – keine Passanten – während einige hundert Meter weiter der Samstagabend – Bär steppt, die Strassen voll mit Touris und Ausgehvolk ist. Die Bullen nehmen die taktische Einladung dankend an. Halten ihre Einheiten verdeckt, lassen es sich sammeln. Stossen dann pünklich um 22:00 Uhr von allen Seiten mit massiven Kräften vor. Mehrere hundert Leute sehen die Bullen aufmarschieren und warten. Und warten. Warten auf das im Aufruf angekündigte Zeichen. Erwarten insgeheim wohl, das wie bei der Bullenkongress Demo 2013 oder bei der Carlo Demo gleich ein grösser Block mit Pyros, Seilen oder was auch immer auftaucht. Es taucht niemand auf. Es gibt kein Zeichen. Es gibt nur die Bullen, die dastehen und glotzen. Und die Zeit, die verrinnt.  Die ersten Bezugsgruppen setzen sich ab, wer sich in den dunklen Ecken schon vermummt hat, zieht die Hassi wieder runter. Nach fast 20 Minuten geht das nicht weiter so, die glotzenden Bullen, das Warten. Einige gehen auf die Strasse, die Bullen setzen sich sofort in Bewegung. Ein grösserer Mob flüchtet in Richtung Bundesdruckerei, wo ihn mehrere Sperren der Bullen erwartet, ein anderer wird direkt am Platz gekesselt. Die Bullen kosten ihre Allmacht aus, Leute werden geschubst und geschlagen, in Windeseile Fluchtlichtmasten angefahren, die die dunklen Ecken ausleuchten. Nach der Machtdemonstration gibt sich die  Staatsgewalt scheinbar gnädig. Die gedemütigten Reste von uns dürfen in Richtung Oranienstrasse abziehen, wo sie dann nochmal den ganzen aufgefahrenden Apparat bewundern dürfen. An jeder Ecke stehen Berliner Bullen, auswärtige Bulleneinheiten fahren in grossen Konvois mit Blaulicht durch die Strassen. Es ist eine einzige Machtdemonstration. Schaut her, es geht garnichts, wir kontrollieren alles.

Tausend Tränen Tief

Der 22.03. ist komplett gescheitert. Alle Versuche, dies zu relativieren, Dinge und Zustände schön zu reden, werden diesen unerträglichen Zustand, in dem wir uns befinden, nur noch weiter ins Unendliche am Leben erhalten. Trotz einer Unzahl an Aufrufen aus dem Spektrum der radikalen Restlinken, einer militanten Kleingruppenpraxis, die in den letzten Wochen fast jede Nacht Symbole der Repression mit Steinen, Hämmern, Farbe und Feuer markiert und angegriffen hat, ist die Teilnahme an den Massenaktionen überwältigend gering gewesen. 1200 Leute auf einer als bundesweit beworbenen Demo sind in einer Stadt wie Berlin einfach nur ein schlechter Witz. Die Bullen haben uns absolut im Griff gehabt. Die angekündigten Momente von Offensive haben komplett nicht stattgefunden, gegen repressive Maßnahmen der Staatsmacht gab es keinerlei Mittel. Und dies ist nicht der Anzahl der Bullen (knapp 2000) geschuldet. Erstens war dies zu erwarten gewesen und zweitens hätten sie diesen Tag mit auch nicht mal der Hälfte der Kräfte genauso gut in den Griff bekommen.

Bei der Demo in Moabit wurden wesentliche Momente des veröffentlichten Konzepts nicht umgesetzt, bzw. waren überhaupt nicht umsetzbar. Die 22:00 Uhr Geschichte war komplett in den Sand gesetzt. Die Wahl des Treffpunkt ist absolut nicht akzeptabel. Und es kann sich auch nicht mit der Eigenverantworlichkeit der Leute herausgeredet werden. An diesem Ort war einfach garnichts möglich. Es gab keinen Plan B, keinen zweiten Treffpunkt, absolut nichts. Der twitter account von @antirep2014 war ab 22:00 völlig abgetaucht.

Jenseits der vielen taktischen Fehler, die gemacht wurden, und der zu kritisierenden Grossmäuligkeit in den diversen Veröffentlichungen im Vorfeld des 22.03., muss auch eine politische Kritik geleistet werden. Schon die Erfahrungen der letzen Jahre haben gezeigt, das sich im Umgang mit staatlicher Repression gesamtgesellschaftliche Verhältnisse 1:1 auch in der radikalen Linken abbilden. In einer Zeit der Oberflächenverliebtheit, der Unfähigkeit, sich außerhalb seines engsten sozialen Raumes solidarisch zu verhalten, jenseits der eigenen Vorteile durch networking in eine reale solidarische Beziehung zu treten, werden die, die durch Repression betroffen sind, weitgehend allein gelassen.

Nur einige Beispiele: Der Prozess gegen Sonja und Christian, die in einem Alter, wo 99 Prozent aller Linksradikalen schon längst mit den Sünden ihrer wilden Jugend abgeschlosen haben, weiterhin auf ihre (unsere) Grundhaltungen beharrt haben, wurde im Kern nur von einer Handvoll von Leuten solidarisch begeleitet. Zu den diversen Kundgebungen vor dem Knast, wie auch zum Tag des Urteil kamen nie mehr als hundert Leute.

Die Knastkundgebung für den einzigen Genossen, der nach der Demo am 22.12. in Hamburg einsaß, wurde von den zahlreichen Gruppen, die diese Demo getragen haben, unterirdisch beworben, am Ende kamen ein paar dutzend Leute zusammen, obwohl er stellvertretend für 10.000 Leute einsaß.

Nach den Hausdurchsuchungen in Berlin im letzten Herbst beteiligten sich nicht mal hundert Leute an einer Demo am Kotti, nach der Razzia in der Rigaer scheiterte eine Sponti am Abend schon in den Ansätzen, zu einer angemeldeten Demo am dem darauffolgenden Wochenende fanden sich mal gerade gut 150 Leute ein.

Diese Aufzählung liesse sich fast endlos fortsezen. Sie dient nicht der moralischen Anklage, weil dies sinnlos wäre, sondern wirft aus unserer Sicht die Frage auf, mit wem wir überhaupt zu welchen Bedingungen zusammenkämpfen wollen. Wer den Berliner Szenekalender Stressfaktor anklickt oder aufblättert, wird nämlich feststellen, dass es Wochenenden gibt, an denen ein halbes Dutzend “Antirepressionspartys” gleichzeitig stattfinden. Vielleicht wäre es endlich an der Zeit , sich von all jenen zu trennen, deren “Solidarität” sich im Kontext eines Deals Kohle gegen Alk und Party abspielt. Das es außerhalb dieses subkulturellen  Lebensabschnittrevoltenpublikums auch ganz andere Menschen gibt, die von Repression betroffen und offen für Vorschäge sind, wohin sie mit ihrer Trauer und Wut sollen, haben z.B. die Erfahrungen nach der Hinrichtung von Denis durch die Bullen in Schönfliess bei Berlin gezeigt.

Ebenso geht es darum, sich überhaupt wieder in den sozialen Konflikten, die diese Gesellschaft nach wie vor durchziehen, wieder einzunisten. Dies wird nur außerhalb des Szeneghettos möglich sein. Ansatzweise zeigt es sich in der Unterstützung der refugess ebenso wie in den Konflikten um die Umkämpfte Stadt. Wie auf einmal ganz andere Leute offen für eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse werden, zeigt z.B. auch das Beispiel der Zwangsräumungen. Autonome Politik muss aber an dieser Stelle überhaupt wieder eine kritische Analyse leisten, sonst wird sie nur zur radikalen Begleitmusik für die Bewegungsmanager aufspielen, die das System modernisieren und optimieren.

 

In offener Feindschaft

 

Autonome aus Berlin

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