Antirep 2014 – Stellungnahme des Orgakreises

110150Aktionstag gegen Repression am 22. März
Communiqué des Vorbereitungskreises

Wir hatten den 22.März zum Aktionstag gegen das repressive System, gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat, erklärt.

Das nun Geschehene und die berechtigte Enttäuschung und Ernüchterung darüber macht nur wieder aufs Neue die Brisanz der Umstände deutlich.

Ja, wir sind davon ausgegangen, dass seitens des Staates zu erneuten repressiven Schlägen ausgeholt wird. Alles andere wäre naiv gewesen. Trotz allem kam es unsererseits zu Fehleinschätzungen der Kräfteverhältnisse sowie der Konsequenz, mit der das offensichtliche Ziel der Zerschlagung der Veranstaltung, verfolgt wurde. Unser Konzept, als auch Aufrufe anderer Gruppen für den Aktionstag, wurden als klare Kampfansage an die Repressionsmaschinerie verstanden und auch als solche beantwortet.

Das Demokonzept stellte aber auch eine Richtlinie für alle Demonstrationsteilnehmer_innen dar. Dass mit 1.200 Teilnehmer_innen weit aus weniger Menschen als erwartet an der Demo teilnahem, war wohl für aufrufende Initiativen als auch Teilnehmer_innen recht ernüchternd. Umso mehr gilt auch hier die kollektive Verantwortung, dass die Aktion so verläuft wie sie unter solchen Umständen bestmöglich verlaufen kann.

Verlauf der 17.00 Uhr-Demonstration

Im Vorfeld der Demonstration fand bewusst keine Kooperationen mit der Polizei statt, auch wenn der Tagesspiegel Gegenteiliges behauptete – Eine Entscheidung zu der wir auch weiterhin stehen. Ein Startpunkt, der möglichst einfachen Zugang zur Demo ermöglicht, so wie die Routenänderungen der Polizei mussten darum vor Ort abgewiesen und neu verhandelt werden. Andernfalls wäre die Demo auf der anderen Seite der Spree gelandet. So kam es zum verzögerten Start.

Weiterhin führte zum verspäteten Beginn, dass Aktivisten aus geplanten Reihen des vorderen Blocks bereits auf dem Weg zum Auftaktort in Gewahrsam genommen und vier Stunden ohne nachweislichen Grund festgehalten.

Aufgrund des Fehlens einiger Aktivist_innen im Frontblock musste spontan umdisponiert werden. Dies gab der Polizei die Möglichkeit in Ruhe die vorderen Reihen zu inspizieren, was eigentlich umgangen werden sollte. Dass die Demo schließlich doch gelaufen ist, ist den verschiedenen Aktivisten zu verdanken, die dem anfänglichen Chaos im vorderen Block ihre Entschlossenheit entgegensetzten. Neben den organisierten Reihen bildeten sich weitere Blöcke.

Zu diesem Zeitpunkt machte die Information die Runde, dass die Polizei bereits erste Leute festhielt. Viele Demoteilnehmer_innen waren zu jenem Zeitpunkt durch die Situation gereizt und betrübt, ebenso stieg die Kampfeslust und der Druck endlich starten zu wollen. In wenigen Momenten musste sich entschieden werden: zwischen strikter Einhaltung der eigenen Vorgaben, was sich in Anbetracht der Umstände als nicht umsetzbar herausstellte; oder der Prämisse zu folgen überhaupt erstmal in Bewegung zu kommen und somit eventuelle weitere Repressionsschläge an Ort und Stelle zu verhindern. Unter dem Druck der Umstände funktionierte in dieser Situation die interne Kommunikationsstruktur nicht genug um eine Entscheidung über den Fortgang zu treffen. Ja, wir hätten auch hier bereits abbrechen können.

22 Uhr: „Unerlaubt durchs Gefahrengebiet“

Eine Adäquate Reaktion auf das Zusammenprügeln der Demo in Moabit wäre die angekündigte Aktion um 22 Uhr gewesen. Das Startsignal wurde jedoch nicht gesetzt was anschließend zu berechtigter Verwirrung führte und laut Beobachtungen wohl auch Aktionsgruppen hemmte, die bereit gewesen wären eine Spontandemo durchzuführen, diese jedoch nicht durch einen eigenmächtigen Start gefährden wollten. Als Kritik wurde später auch geäußert, dass mensch nach den Angriffen auf die Demonstration in Moabit lieber zu dezentralen Aktionen hätte aufgerufen werden sollen. Auch die öffentliche Benennung des Treffpunktes für die 22.00 Uhr-Spontan-Demo wurde kritisiert.

An dieser Stelle solidarischen Grüße an die Aktivist_innen der dezentralen Aktionen vor der JVA Tegel, der Nigerianischen Botschaft und die von denen wir nichts wissen.

Einschätzungen: Niederlage vs. Erfolg

Die Niederschlagung des Aktionstages in Berlin war nach der Eskalation am 21. Dezember 2013 in Hamburg, so wie verschiedenen anderen Aktionen und Demos der letzten Jahre, die nicht unter Kontrolle gehalten werden konnten ein definitiver Grund zur Freude. Law and Order-Fetischist Jörn Hasselmann bejubelte schon am Tag darauf im Tagesspiegel einen 1:0-Punktsieg für die Polizei und die vermeintliche Wiederherstellung deutscher Rechtsstaatlichkeit. Wir verweigern uns jedoch dem Denken in Erfolgen und Niederlagen, unter anderem da es konkret für diesen Tag impliziert, dass der 22. März in irgendeiner Form zu gewinnen gewesen wäre. Wir gehen davon aus, dass auch eine besser aufgestellte Demo von der Polizei massiv angegriffen worden wäre, einfach weil es den erklärten Willen gab die Demo als auch dezentrale Aktionen zu zerschlagen. Gleichzeitig verweigern wir uns der Erfolgs-Niederlagen-Denke, da sie im Fall des 22. März Momente der Subversion außerhalb von Großveranstaltungen nicht berücksichtigt und „Siege“ eben nur am Kräftemessen bei eben solchen Events misst.

Einschätzungen: Der Hamburg – Berlin-Vergleich

Hamburg war ein Event, wie es alle drei Jahre mal auftritt und für einen kurzen Moment deutlich macht, dass dieser Staat und seine Ordnung erschütterbar sind. Wir beziehen uns an dieser Stelle auf Hamburg, nicht weil wir davon ausgegangen sind in Berlin einen zweiten 21. Dezember zu schaffen, sondern weil dies in der öffentlichen Wahrnehmung so aufgefasst oder verhandelt wurde. Auch wenn die militanten Vorfeld-Aktionen (u.a. von der Aktionsreihe „Repression ist…“) in den letzten Wochen vor der Demo einen gegenteiligen Eindruck erweckten, sind wir nie davon ausgegangen, dass in Berlin ein zweites Hamburg entstehen würde. Hierfür verweisen wir auf den Aufruf zur Demo. Aufrufe und Texte die diesen Vergleich zogen haben wir trotzdem auf www.antirep2014.noblogs.org übernommen, da sie Teil einer dezentralen Mobilisierung zum Aktionstag waren, weshalb wir auch keinen Anlass zur Distanzierung sahen.)

Noch mal zum Unterschied zwischen der Situation in Hamburg und Berlin:
vor einem Jahr befanden sich in Berlin die Kämpfe der Refugees, so wie di Mieter_innen-Kämpfe noch in der Offensive. Erinnert sei an die Mediale Präsenz nach der Räumung der Familie Gübol, den Tod von Rosemrie F. und die zahlreichen Aktionen vom O-Platz-Camp und deren Unterstützer_innen. Hier liefen viele Aktionen u.a. im Rahmen der monatlichen Lärmdemo des Kotti-Camps auch zusammen, eine Zuspitzung die zu einem militanten Protest führte kam jedoch nicht zustande. Hier für gibt es unterschiedliche Gründe. Seit Ende 2013 werden fast täglich Horrormedlungen über das Oranienplatz-Camp publiziert um die Berliner Bevölkerung für eine Räumung anzuspitzen. Frank Henkel wiederum versucht beim Thema Oranienplatz in seiner Funktion als Innensenator Stärke zu zeigen. Der Schlag gegen die Antirepressions-Demo muss in diesem Zusammenhang (auch als Ersatzhandlung für die bis dahin nicht erfolgte Camp-Räumung) gesehen werden.

In Hamburg hingegen befanden sich die Kämpfe Ende 2013 in der Offensive mit Themen die in der Hamburger Stadtgesellschaft anknüpfungsfähig sind (Lampedusa-Gruppe, Esso-Häuser) und verband dies mit linken Themen (Rote Flora tec.). Die Schwerpunkte des Aktionstages in Berlin wiederum waren zum Großteil linke Repressionsfälle und werden wohl auf absehbare Zeit auch „unsere“ bleiben. Zwischen einer Zwangsräumung und einem 129 a/b-Verfahren klafft eine riesige Lücke unterschiedlicher Erfahrungswerte. Vor diesem Hintergrund wäre auch eine wirkliche Verbreiterung der Demo schwer geworden, da bekanntlich die Beteiligung eines linken/linksradikalen Block an einer „Freiheit statt Angst“-Demo weit aus einfacher ist als die Einbindung überwachungskritischer Zivilgesellschaft in Vorbereitungen die von linken/linksradikalen Gruppen getragen werden.

Einschätzungen: Eventpolitik hin oder her…

Aber gerade weil es beim Aktionstag eben nicht nur um gesellschaftlich anknüpfungsfähige Themen wie „Gefahrengebiete“ ging sondern auch um „unsere Repressionsfälle“ gingen wir uns auch mobilisierende Zusammenhänge aus anderen Städten von weit aus mehr Teilnehmer_innen aus. Hier würden wir konstatieren, was in der alltäglichen Antirepressions-Arbeit schon hinlänglich bekannt ist: Antirep-Arbeit ist unatraktiv und scheint auch als Schwerpunkt eines Aktionstages, der recht gut beworben war kein Thema zu sein, dass zieht. Hiermit schließt sich der Bogen zur Erfolgs- und Niederlagen-Denke. Wo die Gewinnchancen unklar oder gering sind, ist mit geringerer Teilnehmer_innenzahl zu rechnen. Wir jedenfalls sind davon ausgegangen, dass die „eigene“ Repression auch mehr Menschen mobilisieren würde. Wir wisswollen an dieser Stelle an den Willen zur Selbstorganisierung aller appellieren.

Die Vorbereitungen des Aktionstages haben gezeigt dass es im Berliner Alltagsbetrieb der Antirepessions-Arbeit wenig kollektive und Gruppenübergreifende Erfahrungen und Zusammenarbeit gibt (gemessen an der Anzahl an Aktivist_innen in Berlin). So war es vor dem Hintergrund der sich doch oft uneinigen Berliner Linken eine respektable Leistung und manchmal sogar eine Kunst verschiedenste Strukturen im Vorbereitungsnetzwerk zusammen und auf eine Sache zu konzentrieren die alle angeht. Über die konkrete Zusammenarbeit, zu einem Aktionstag der nicht in der Reihe der denkwürdigen Events gelandet ist, konnte eine solidarische Praxis im weiteren Verlauf der Vorbereitungen entwickelt werden. Vor diesem Hintergrund können wir nur sagen, dass es jetzt erst recht umso notwendiger ist zusammen zu arbeiten und mehr zusammenzukommen.

Trotzdem gehen wir ernüchtert nach Hause. Jeder Verletzte und jeder Gefangene ist einer zu viel.

Für uns bleibt die Frage explizit auf Berlin bezogen: braucht es immer ein spezielles Event, damit VIELE Menschen entschlossen gegen Repression auf die Straße gehen und sich ALLE angesprochen fühlen?!
Wie positioniert sich „unsere“ radikale Linke?
Wir müssen uns ALLE bewusst machen, dass wir ALLE gemeint sind und Demonstrationen keine Konsumgüter sind!

Weiterhin und jetzt erst recht gilt:
Unsere Solidarität den Betroffenen!
Gemeint sind wir alle!

Offenes Nachbereitungstreffen zur Antirepressionsdemo am 22.März 2014
Mittwoch, 9. April um 18.30 im New Yorck (im Bethanien), Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
(Ankündigung)

Antirep 2014:
https://antirep2014.noblogs.org/

Lesenwerte Beiträge zur Nachbereitung:
Von der Turmstrasse bis zum Moritzplatz – Gescheiterter Aktionstag gegen Repression in Berlin
Antirep14 – Gegen das Gepolter und für eine ernsthafte Auseinandersetzung

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