22. März: Von Hamburg nach Berlin – Butter bei die Fische

Ick heff mol in Hamburg een Veermaster sehn

Als am 21. Dezember die Bullen die Demo vor der Roten Flora frontal angriffen, markierte dies den vorläufigen Höhe-und- Endpunkt einer bemerkenswerten Entwicklung. War die Praxis der diversen Zirkel und Grüppchen der zersplitterten Linksradikalen in den letzten Jahren weitgehend auf eine identitäre Selbstreferenzialität beschränkt, so entlud sich nun in den folgenden Stunden eine massenmilitante Praxis, die sich erstmalig seit Jahren wieder im Kontext einer sozialen Konfliktualität verortete.

Die Ironie an der Geschichte der Entwicklung der letzten Monate in Hamburg (und dies ist kein neues Phänomen in der Geschichte der autonomen Kämpfe) ist, dass diejenigen, die diese Dynamik ausgelöst und seit dem Ultimatum an den Hamburger Senat im wesentlichen getragen haben, sich eben jener Dynamik – ihrer Rahmenbedingungen, ihrer Möglichkeiten als auch ihrer Begrenzungen – nur auf einer wahrscheinlich vordergründigen Art und Weise bewußt gewesen sind. Vielleicht schien in der einen oder anderen Nacht vor dem 21.12. eine vage Ahnung von der Möglichkeit des Unmöglichen ebenso wie von den (politischen !) Gefahren jenseits des Erscheines einer Bulleneinheit auf – Anstoss für kollektive und öffentliche strategische Überlegungen und Erörterungen war dies jedoch leider nicht. Vielleicht ist dies aber auch das Schicksal, das sich aus der politischen Praxis der diversen autonomen Kleingruppen generiert, die sich, um jenseits der nächtlichen Kleingruppenaktion in großer Zahl aktiv werden zu können, immer wieder an die diversen Kampagnen der Bewegungsmanager anhängen müssen. Löbliche Ausnahmen wie die Demo zum 10. Jahrestag der Ermordung von Carlo oder zum Bullenkongress in Berlin im letzten Jahr sind erstens an einer Hand abzuzählen, zweitens eigentlich momentan überhaupt nur in zwei Städten denkbar und bringen drittens die Zusammenhänge, die das organisieren, regelmäßig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, weil die träge Masse sich mittlerweile in der Rolle des Demo -Konsumenten ganz gut eingerichtet hat.

Doch selbst wenn der politische Wille, das politische Bewusstsein da gewesen wäre, sich seiner gegenwärtigen Praxis und den Fragen, die daraus resultieren, auch inhaltlich zu stellen, so fehlen wohl mittlerweile die Orte, um sich überhaupt darüber austauschen zu können. Die kümmerlichen Reste der “autonomen Medien” führen ein Schattendasein, bei der Interim, wie auch bei manch anderer Publikation, wird mensch den Eindruck nicht los, sie werde eher aus Trotz als aus einer realen Perspektive heraus weiterproduziert. Das Netz wiederum ist ein bodenloser Sumpf, in dem die wenigen wichtigen Informationen inmitten eines Meeres aus Belanglosigkeiten untergehen, oder das Trollwesen in kürzester Zeit dafür sorgt, dass die Debatte sich mit den absurdesten Ergüssen in den Kommentarfunktionen und nicht mehr mit dem eigentlichen Text beschäftigt.

Da auch Vollversammlungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr als en vogue gelten, bzw. garnicht mehr denkbar sind, weil ein Reden in einem Raum voller neurotischer Befindlichkeiten, PC Regime und inhaltlicher Sprach-und-Bewußtseinslosigkeit miteinander schlichtweg garnicht mehr möglich erscheint und auch alle Ansätze eines autonomen Kongresses seit 1995 desaströs gescheitert sind, bleiben eben nur jene seltenen Momente der Begegnung in der konkreten Praxis, wie am 21.12. in Hamburg. Das im Nachklang dieses Tages diverse Texte veröfffentlich wurden, die nicht im routinierten Szeneverlautbarungssprech daherkamen, sondern umstrittende Reizpunkte setzten, sowie jenseits der allgemein verinnerlichten Ohnmacht Fragen nach den ganz praktischen Notwendigkeiten einer antagonistischen Praxis stellen, ist eben der Außergewöhnlichkeit einer Situation geschuldet, in der mensch sich nicht in den üblichen ritualisierten Abläufen wiederfand.

So wie es in den Monaten vor dem 21.12. an diskursiven und strategischen Reflexionen aus der autonomen Linken zur Entwicklung in Hamburg gefehlt hat, so überdeutlich markiert das tiefe Loch, das seit dem Aufheben der Gefahrengebiete auf den Zyklus der Kämpfe vor dem 21.12. folgte, die Orientierungslosigkeit der diversen autonomen Zirkel. Schon in den Mobilisierungen gegen die Einrichtung der Gefahrengebiete wurde weitgehend verkannt, dass die “Klobürstenrevolution” eben jenen Zyklus der radikalen Mobilisierungen der letzten Monate zu Grabe trug und den Diskurs in Richtung “politische Lösung” verschob, während die permanenten Bullenkontrollen dazu dienten, die schon fast tagtägliche Spontandemos und miltanten Aktionen der letzten Zeit unter Kontrolle zu bekommen. Das die Demo gegen die Gefahrengebiete am 18.01. selbst der nicht als aktionistisch verschrieenen jungle world “so ruhig (vorkam), dass selbst eine Kundgebung für mehr Kitaplätze als fordernder durchgehen dürfte”, bringt das selbst produzierte Elend auf den Punkt. Bei aller (spontanen) Begeisterung über die diversen unkontrollierten Demos und direkten Aktionen (s.a. die Dokumentation in der aktuellen Zeck) ist ein Sichselbstvergewissern ebenso wie die Fragestellung nach dem Wieweiter auch während eines Kampfzyklus aus unserer Sicht unverzichtbar. Sonst erledigen das die üblichen Netzwerke und Bewegungsmanager für einen. Das Ergebnis davon kann derzeit in Hamburg besichtigt werden.

(K)eine Atempause – Geschichte wird gemacht (Scheitern als Chance)

 

Die Bullen sind Schweine. Ihr Job ist die Repression. Sich daran abzu­ar­bei­ten, ist eben­so über­flüs­sig wie sinn­los. Die entscheidene Frage ist, was sich aufgrund der Repression entwickelt. Bei fast sämtlichen Aufständen und massenhaften Revolten , die in den letzten Jahren in Europa stattgefunden haben (Frankreich 2005, Griechenland 2008, England 2011,… bis Bosnien 2013), waren Bullenrepressialien der zündende Funke.

Es gab auch eine Zeit in diesem Lande, in der der Knast der radikalen Linken kein fremdes , sondern vertrautes Terrain war, und sich die diversen Revolten in den Knästen rund um inhaftierte Aufständische gruppierten. Wer nicht als Mitglied oder sogenannter Unterstützer einer bewaffneten Formation des Aufstandes inhaftiert und nicht mit Isohaft und Stammheimisierung konfrontiert war, wird im Allgemeinen (zumindestens in der Rückschau) seine zeitlich überschaubare Haftzeit als nicht zu missende Erfahrung verbuchen.

Es muss also der Behauptung einer allgegenwärtigen Repression, der wir alle unterworfen seien und die so vieles verhindere, eine andere Motivation zugrunde liegen, als eine realistische Beurteilung der gegenwärtigen Zustände. (Und seien wir ehrlich, die Anzahl der Gefangenen aus der deutschen radikalen Linken ist fast an einer Hand abzuzählen.) Vielleicht wäre es an dieser Stelle aufrichtiger, über die Halbherzigkeit zu reden, mit der die meisten von uns an die ganze Sache rangehen. Vielleicht erklärt dies auch viel mehr, warum unser Demos so gut von den Bullen zu kontrollieren sind, als die Mythen von der Allmacht unseres Gegners. (Und wer von uns am 21.12. in Hamburg gewesen ist, und dies waren ja nicht wenige, der hat sie gesehen, die Panik in den Augen der Bullen der Eliteeinheiten, wenn ihnen mehr als ein symbolischer Widerstand entgegen gesetzt wird.) Und wenn wir gerade dabei sind, so schnonungslos eine Perspektive auf unsere reale Situation zu entwickeln, sollten wir von unseren Bedürfnissen und Sehnsüchten nicht schweigen. Selbst der olle (Ex – Fraktionssprecher der Grünen) Ebermann bekam ja einen ganz anders rauchigen Tonfall, wenn er von Bullen auf der Flucht referierte.

Wir wollen es wiederhaben, dieses warme Gefühl des 21.12., als wir uns alle vor der Flora endlich wiedergefunden hatten. Wir können dieses Bedürfnis sublimieren und abspalten, wir können es in diversen Verlautbarungen und Einschätzungen rationalisieren, wir kommen einfach nicht daran vorbei. Wir brauchen es, um weitermachen zu können. Um Hoffnung zu haben. Wir brauchen es, wenn wir wieder im Sumpf des Alltags und der Kleingruppe versinken, wenn wir uns isoliert und bewegungslos wiederfinden. Auf dem Versprechen, uns dieses Gefühl geben zu können, gründet im Übrigen auch die Macht der Bewegungsmanager. Sie schaffen die Events, auf denen wir uns begegnen und gegen all unsere Bedenken, dass diese eben nicht selbstorganisert ist, lassen wir uns immer wieder anfixen. Weil wir diese Gefühl haben wollen und verlernt haben, uns selber den Rahmen zu schaffen, uns zu begegnen.

Und weil der Mensch ein Mensch ist…

 

Das Ende der Geschichte ist Geschichte. Das eine orthodoxe Linke (in all ihren Schattierungen von NAO Prozess bis 3A Bündnis) ein viertel Jahrhundert nach dem Ende des Staatskapitalismus immer noch nicht in der Lage ist, dieses historische Scheitern auch nur ansatzweise zu begreifen, einzuordnen und zu verarbeiten, und lieber wahlweise dem Sozialismus des 21 Jahrhundert oder den diversen Resteverwertern eines nationalen Befreiungskampfes hinterherhechelt, würde uns eigentlich nicht wirklich tangieren. Wenn sich nicht auch in Teilen einer undogmatischen Linken eben jene Geschichtsvergessenheit hartnäckig behaupten könnte, in der nationale Kollektive sozialrevolutionär aufgeladen werden und sich auf ein diffuses 99% positiv bezogen wird. Vielleicht speist sich ja aber eben jene (un)kritische Bezugnahme auf historisch mehr als überlebte Bewegungen aus einer Unlust, sich den theoretischen Notwendigkeiten zu stellen, ohne die es keine neue grundsätzliche antagonistische Praxis geben wird. Lieber überlässt man scheinbar die Begriffsbildung Figuren wie Negri, dessen Multitude– Jünger ja schon zur soziologischen Umzinglung der sogenannten “Antiglobalisierungsbewegung” ihren Anteil beigetragen haben. Wer heute ein Weltsozialforum besucht, dem dürfte ein Bundesparteitag der Jusos in den 80igern als eine zutiefst radikale Angelegenheit erscheinen.

Da nun das historische Subjekt zur Überwindung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft, die Arbeiterklasse, aufgrund der gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte, objektiv gesehen, eben zu jener Umwälzung garnicht mehr instande ist, ist der historische Materialismus mit all seinen angeblichen geschichtlichen Gesetzmäßigkeiten also endlich obsolet geworden. Und in seiner Funktion als Ersatzreligion  grundsätzlich demaskiert. Eine Leiche weniger, die wir mit uns zu schleppen haben.

Was uns aber jenseits aller neu zu denkenden Grundrisse als erstes und als absolut Notwendigstes erscheint, ist zumindestens zuallererst eine kritische Überprüfung und theoretische Einordnung unserer Praxis der letzten Jahre. Nicht nur gab es entgegen aller Behauptungen nie auch nur den Ansatz einer Bewegung, sondern im Gegenteil: Das muntere unreflektierte Mitmischen in den diversen sozialen Konflikten wie z.B. bei “Recht auf Stadt” trug häufig dazu bei, einer sich selbst optimierende und kontrollierende Gesellschaft bei eben diesem Prozeß auch noch behilflich zu sein. Vom kreativen Input für die Marke Hamburg durch die Besetzung des Gängeviertels hin zur  Forderung einer politischen Lösung anstelle eines Gefahrengebietes verläuft eine ziemlich gradlinige Bewegung, die eigentlich nicht erst unter einer theoretischen Lupe sichtbar wird.

Wenn es dunkel wird – hier im Herzen der City…

 

Nun gibt es den Vorschlag für eine bundesweiten Aktionstag am 22.03. in Berlin. Er trifft unser Bedürfnis, uns wiederzubegegnen, Erfahrungen einer aufständischen Praxis weiterzuentwickeln. So scheinbar beziehungslos nebeneinanderstehend vielleicht auch vielen die bisherigen Aufrufe erscheinen mögen, drückt sich in der Intention (eines Teils?) der organisierenden Zusammenhänge aus unserer Sicht ein Bedürfnis aus, das wir zutiefst teilen. Während rund um uns herum das Gleichgewicht des Empire zumindestens fragil erscheint, drückt eine Mischung aus Resignation, Anpassung und Angst auf die Gemüter der Wenigen, die in diesem Land noch auf etwas grundsätzlich Anderes zu hoffen wagen.

Wie aufgrund unserer bisherigen Ausführungen verständlich, finden wir allerdings die Orientierung in der Mobilisierung zum 22.03. auf #Gefahrengebiete mehr als problemtisch. Ebenso finden wir es theoretisch mehr als unscharf, die sozialen Konfliktualitäten durch die Begrifflichkeit Repression zu substituieren. Allerdings denken wir, dass es Sinn macht, die Schnittmenge Umkämpfte StadtFrontex RegimeAufstandsbekämpfung zum Thema am 22.03. zu machen. Mit der italienischen Autonomia endete der letzte Anlauf, die Fabrik zum zentralen Konfliktfeld zu machen. Die wesentlichen sozialen Auseinandersetzungen spielen sich seitdem im Reproduktionsbereich ab. Die Frage, wer überhaupt noch zu welchen Bedingungen im Verwertungsprozeß gebraucht wird, spiegelt sich sowohl im notwendigerweise mörderischen Frontex Regime als auch in Verdrängungsprozessen in den Städten des Empires ab. Eine Antwort, die Teile der ausgesteuerten Klasse auf diese gesellschaftlichen Bedingungen gegeben haben, sind  u.a. die nihilistischen Aufstände (von Frankreich 2005 bis London 2011), bzw. die nihilistischen Tendenzen innerhalb der sozialen Unruhen der letzten Jahre weltweit.

Vor uns liegt die jetzt scheinbar unlösbare Aufgabe, uns innerhalb dieser weltweiten Konfliktualität zu verorten und Strategien zu entwickeln, wie wir innerhalb dieser Konflikte eine reale Rolle spielen können. Historische Erfahrungen, wie autonome Politik auch hier ihre identitäre Begrenzung überwinden kann, sind rar, aber es gibt sie. Zuallererst gilt es allerdings, sich zu finden, der 22.03. erscheint uns dabei ein Schritt in diese Richtung.

In offener Feindschaft – Autonome aus Berlin

 

22.03.2014 Berlin

 

17:00 Angemeldete Demo (u.a. zum Knast) U Bahnhof Turmstrasse

 

22:00 Uhr Unangemeldete Demo / Der Ort wird noch bekantgegeben

linksunten.indymedia.org

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